Historischer Rundgang (1944 aus der Sicht von 2004)

Das Gutshaus in Protzen 1944 und 2004

Von Hans Christian Legde (* 1930 in Protzen, + 2017 in Wiesbaden)

(Hans Christian Legde war der älteste Sohn des letzten Gutsbesitzers Hans-Günther Legde. Er lebte bis zum Kriegsende in Protzen. Nach der Wende besuchte er die alte Heimat mehrmals und stattete seinem Elternhaus auch jeweils einen Besuch ab).

Jedesmal, wenn ich mein Geburtshaus von der Parkseite aus ansehe, fällt mir „Das Schloss Boncourt“ von Adelbert von Chamisso ein. Das Haus ist mein irdischer Lebensmittelpunkt geblieben, auch wenn ich seit dem 18. August 1941 nur in den Ferien und seit dem 29. April 1945 überhaupt nicht mehr darin gewohnt habe. Die Erinnerung an Einzelheiten ist allerdings sehr verblasst und fehlerhaft. Aber soll ich mit der Beschreibung länger warten? Es gibt so gut wie keine alten Innenaufnahmen des Hauses. Es gibt auch nicht mehr viele Menschen, die vor Kriegsende darin gelebt haben.

 Die Straßenfront des Gutshauses misst 23,10 m. Die Ost- und die Westseite sind je 23,80 m lang. Auf der Süd-, Rück- oder Parkseite liegt zwischen zwei 6,91 bzw. 6,94 m breiten Seitenflügeln ein 9,25 m breiter gepflasterter Innenhof von 9,85 bzw. 9,87 m Tiefe, der teilweise durch einen Balkon überdacht war. Das Haus wurde fast nur durch die rückwärtigen Eingänge betreten.

Das Gutshaus wurde im wesentlichen in seiner heutigen Form, aber mit zwei nur einstöckigen Seitenflügeln, um 1753 von Generalleutnant Franz Ulrich von Kleist errichtet. Er hatte Anfang 1752 zwei der drei Protzener Gutsanteile wohl von Cuno Ludolph oder Albrecht Friedrich von Quast gekauft. Wo die – zeitgleich bis zu drei – Protzener Gutsbesitzerfamilien, nämlich von Protzen bis etwa 1522, von Gadow bis 1652/1654/1667 und von Quast bis 1751/1767, gewohnt haben, ist unbekannt. Wir wissen kaum etwas über ein früheres Gutshaus. Im Sommer 1638 verwüsteten die Truppen des kaiserlichen Generals Reichsgraf Matthias von Gallas, des „Heerverderbers“, das Ruppiner Land in unvorstellbarer Weise. Der Protzener Pastor Collasius (Kohlhase), der nach Gottberg geflohen war, berichtet im bekannten Gottberger Kirchenbuch zwar, dass in Protzen nur acht Personen übriggeblieben seien und dass „die Pfarre zu Protzen und das halbe Dorf“ abgebrannt seien. Er zählt abgebrannte Rittersitze, darunter Walsleben, Dabergotz, Krentzlin (Kränzlin), Werder, Buskow, Wustrau, Langen, Walchow, Manker, Vichel und Nakel, sowie deren Besitzer auf, erwähnt aber weder ein Gutshaus in Protzen noch die Familie von Gadow. „1718 und 1727 zerstörte eine Feuersbrunst bis auf die Kirche, vier Höfe und einige Einliegerstellen das gesamte Dorf samt dem Pfarrhaus, wobei die Kirchen- und Kirchenrechnungsbücher von Protzen und Stöffin verbrannten“ (Lothar Westphal, Geschichte des Dorfes Protzen, Dezember 1905, Seite 16). Auch Westphal sagt nichts über ein altes Gutshaus. Mein Vater nahm lange an, die Quasts hätten das jetzige Gutshaus nach dem Brand von August 1727 errbaut. Wahrscheinlicher ist aber, dass Generalleutnant von Kleist bald nach Erwerb von zwei der drei Quastschen Güter in Protzen den Neubau errichtete. Dies geschah auf alter Bausubstanz. Die Keller mit Kreuzrippengewölbe unter dem Ostteil des Hauptbaus stammen nämlich aus dem späten 15. oder aus dem 16. Jahrhundert.

Über den Innenhof geht es geradeaus durch die Eingangstür mit halbrundem Oberlicht in den

01 Treppenflur,

den wichtigsten Durchgangsraum des Hauses. Er war hellgelb gestrichen. Unter der Decke war eine Kette grüner Efeublätter gemalt. Rechts die beeindruckende dreiläufige Treppenanlage ins Obergeschoss, die – steiler und zweiteilig – bis ins Dachgeschoss weiterführt. Das Geländer eignet sich zum Hinunterrutschen. Es war braun und ist jetzt – wohl die ursprüngliche Farbe – überwiegend weiß gestrichen. In den Ecken der beiden Treppenabsätze befand sich je eine Konsole mit einer weiblichen Figur, die eine Schale in der Hand hatte. „Die Formen der Antrittsschnecke und des Balustergeländers gleichen bis ins Detail den Treppen Neuruppiner Bürgerhäuser vom Ende des 18. Jh.“ (Denkmale in Brandenburg, Band 13.2, Landkreis Ostprignitz-Ruppin, 2003, S. 345). So befindet sich in der Siechenstraße 14 in Neuruppin eine ganz ähnliche Treppe. Vielleicht ist die Protzener Treppe erst einige Jahrzehnte nach dem Neubau eingefügt worden.

Unter dem ersten Treppenlauf und -absatz eine „Butze“ für Reinigungsgeräte. Davor eine Truhe mit Wagendecken und Fußsäcken. Das Fahren im offenen Pferdewagen konnte im Winter sehr kalt sein. Im Türrahmen zur Plättstube unter dem zweiten Treppenlauf ließ sich eine Schaukel einhängen, die eifrig benutzt wurde. Heute befinden sich hier die Türen zum Behinderten-WC und zu dem kleinen Flur vor dem WC für Herren und dem WC für Damen. Unter dem zweiten Treppenabsatz und dem dritten Treppenlauf ein großer gelber Schrank vor allem mit Winter-Überkleidung für die Kinder. Das nicht mehr existierende, leicht angekratzte Milchglasfenster zur Toilette und darunter ein großes dunkles Gefäß, aus dessen weiter ovaler Öffnung nach oben viele Spazierstöcke herausragten, darunter ein auffälliger Knotenstock. Ein grüner Kachelofen mit einer Ofenbank an zwei Seiten.

Von der hinteren Haustür in Richtung auf die Eingangstür zur Straße geht es links an der Tür zum Kleinen Esszimmer und einem großen schwarzen Schrank vorbei zum offenen Eingang der

02 Garderobe.

Sie ist heute Abstellraum mit Eingangstür. Die Garderobe war durch eine Zwischendecke niedrig gehalten und besaß eine grobgewirkte grüne Wandverkleidung sowie eine lange Reihe von Kleiderhaken. Am Ende der Garderobe eine nicht mehr existierende Tapetentür zum Salon. Auf der südlichen Breitseite ein Spiegeltisch und die Tür zu einem kleinen Abstellraum für Staubsauger am Schornstein. Durch diesen Raum Zugang zum niedrigen

03 Raum über der Garderobe.

Beim ersten Besuch des Hauses nach der Wende kam mir der Gedanke, hier könne sich das ovale Bild des Protzener Prinzen Heinrich befinden. Es war nicht da. Auf der Ostseite des Treppenflures ein mich faszinierender Stich der Schlacht von Fehrbellin und die Tür zur

04 Toilette.

Sie ist heute Raum für Reinigungsmittel. Wiederum ein durch eine Zwischendecke niedrig ausgestalteter Raum. Eine kleine Tür führte zum Schornstein und zu einem Schacht, durch den man in den niedrigen Raum zwischen der unteren und der oberen Toilette gelangen konnte. Neben dem WC ein Waschtisch, an dem ich unzählige Male den Durst gestillt habe. Architekt Kujas erzählte, dass bei der Hausrenovierung unter der Toilette Bauschutt aufgefunden worden sei. Das spricht dafür, dass vor dem Neubau von 1753 im Vorgängerbau die dann zugemauerte Treppe hinunter zum Weinkeller hier begonnen hat.

An der Decke zwischen Garderobe und Toilette hing die zu jedem Erntedankfest erneuerte Erntekrone. – Vom Treppenflur gelangen wir durch einen Öffnungsbogen ins

05 Entree.

Die rundbogige Haustür zur Dorfstraße mit Lünettenoberlicht wurde kaum benutzt. Über ihr befand sich auf der Außenseite des Hauses bis zu ihrer Zerstörung nach dem Krieg eine schöne Sandsteinplatte mit dem Doppelwappen von Franz Ulrich von Kleist und dessen zweiter Ehefrau Dorothea Margaretha geborene von Lepel. Generalleutnant von Kleist, geboren wohl am 2. 3. 1687, war in erster Ehe seit 1720 mit Christina Luise Eleonore geb. Freiin Gans Edle zu Putlitz verheiratet, die 1736 starb. Er wurde bald nach Beginn des Siebenjährigen Krieges am 1. 10. 1756 in der Schlacht von Lobositz verwundet und starb am 13. 1. 1757 in Dresden. Seine wohl 1703 geborene zweite Ehefrau hatte er am 11. 1. 1738 geheiratet. Sie verkaufte das Rittergut 1770 bei der Erbteilung für 46.000 Taler an ihren Sohn Gustav von Kleist. Am 25. 5. 1774 starb sie in Protzen.

Im Entree ist der Parkettboden erhalten. Zwischen der Haustür und der Tür zum Saal wohl eine Truhe. An der Wand dann „der Kleist“, ein schönes Porträt. Pastor Westphal aaO S. 19 meint, es handele sich um Gustav von Kleist, Ritter des Johanniterordens und daher „Johanniter-Kleist“ genannt. Er wurde am 24. 3. 1744 geboren. Sein Hauslehrer war von 1757 bis 1760 Johann Cuno Christoph Schinkel, später Superintendent in Neuruppin, der Vater des Baumeisters Carl Friedrich Schinkel und mein Ururururgroßvater. Gustav von Kleist schied am 21. 12. 1769 als Lieutenant aus dem Regiment Prinz Ferdinand in Neuruppin aus, um als Nachfolger seiner Mutter Gutsbesitzer zu werden. „Johanniter“ erschien ansehnlicher als Lieutenant. In seine Zeit fällt der von Amtmann Fromme beschriebene und in Fontanes „Die Grafschaft Ruppin“ wiedergegebene Besuch Friedrichs II. in Protzen. Kleist starb kinderlos am 3. 7. 1794, seine Witwe geb. von Briest am 18. 6. 1811. Sein Halbbruder General Franz Casimir von Kleist, geboren am 25. 1. 1736, gestorben am 30.3. 1808, in jüngeren Jahren ein angesehener Soldat, soll nach der ruhmlosen Übergabe von Magdeburg im November 1806 eine Zeitlang zurückgezogen im Protzener Gutshaus gelebt haben.

Schön und gut – nur zeigt das Bild den Johanniter-Kleist nicht! Auch wohl nicht, wie mein Vater meinte, den bei Eduard Vehse, Illustrierte Geschichte des peußischen Hofes, 1901, Erster Band, S. 379, erwähnten Brandenburger Domherrn von Kleist. Sondern einen katholischen Geistlichen von etwa 1730 mit polnischem Weißen Adlerorden. Nachfragen bei dem Genealogen der Familie von Kleist haben nicht weitergeholfen. Mein Bruder Rudolf meint, das Bild könne Ignacy Krasicki, Fürstbischof des seit 1772 preußischen Ermlandes, darstellen. Ich glaube das nicht – der Bischof war ein paar Jahrzehnte jünger und deutlich schlanker als der geistliche Herr auf dem Porträt. – Im Entree stand dann noch ein wunderschöner Wappenschrank. Wir betreten durch die zweiflügelige Tür den

06 Saal.

Er ist heute Versammlungsraum. Auch hier ist der Parkettboden erhalten geblieben. Die Wände waren bis in Fensterhöhe holzgetäfelt. Zwischen den drei Fenstern zur Dorfstraße zwei hohe Spiegel. In der Saalecke der Kupferkessel, in dem ein Kind sich verstecken konnte. Darüber der Wandteller mit St. Hubertus und dem Hirsch. Von den drei „Kirchenmöbeln“ im Saal, die bis vor 100 Jahren im Schloss Schlotheim in Thüringen standen und von Mutter eingebracht wurden, zuerst die Sitzbank mit hohem Rücken und geschnitzten Szenen aus der Josefsgeschichte. Auf jeder Armlehne ein Männchen mit Buch und Globus. – Ein Heizkörper mit Wärmefach. Dann die heute zugemauerte Tür zur Plättstube in Richtung Küche. Das zweite Kirchenmöbel, die „mittelalterliche Bar“, ein großer Geschirrschrank, oben mit Zinngeschirr. Ein besonders schöner weißer Kachelofen. Ein etwas kleinerer Schrank, drittes Kirchenmöbel, mit reichem Schnitzwerk: Bergung des Mose aus dem Nil; Gott gibt Mose die zehn Gebote. Auf dem Bodenbrett Kanonenkugeln aus der Schlacht bei Fehrbellin am 28. 6. 1675.

In der Saalecke, in der in den meisten Jahren der Weihnachtsbaum stand, hing ein ovales Gemälde, das den Protzener Prinzen Heinrich darstellen sollte. Ich hatte als Junge Bedenken, weil mir die Uniform nicht preußisch vorkam. Das Bild ist 1945 abhanden gekommen.

Der Saal wurde als Esszimmer genutzt. In der Mitte stand unter einem mächtigen Leuchter und zwei etwas kleineren Lampen im Stil Anfang des 20. Jahrhunderts der große Esstisch. Um ihn herum dunkle Stühle mit hohen geflochtenen Lehnen. – Durch die erwähnte jetzt zugemauerte Tür in die

07 Plättstube.

Wie fast immer im Uhrzeigersinn: Ein kleinerer grüner Geschirrschrank. Fenster nach Osten zum Speicher. Das war ein langes und hohes Gebäude aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, nach den Erinnerungen meines Vaters „vielleicht ganz nützlich, bestimmt aber recht unschön, ein zigarrenkistenförmiges Stall- und Speichergebäude“. Für uns Kinder war der Speicher wichtig: Er enthielt an seinem Südende den Hühnerstall und den Taubenschlag. In den zahlreichen nicht mehr gebrauchten Kutschen in der Remise legten immer wieder Hühner Eier. In der Garage stand neben dem DKW Reichsklasse erst der Adler Trumpf und dann bis Kriegsbeginn der Mercedes 170 V. In Laufställen Omas eigensinniger Schimmel Ali, zeitweise die Stute Maiblume mit Fohlen, ferner die Schafböcke Max, der sich reiten ließ, und Moritz. Man konnte auf das Teerdach des Speichers steigen und probieren, ob man Höhenangst hatte. Der Speicher, vor dem neben einer kleinen Pferdekoppel ein schöner Nussbaum stand, ist nach dem Krieg abgerissen worden.

Unter dem Fenster ein Tisch mit grüner Wachsplatte, an dem wir Kinder frühstückten und auch sonst manchmal aßen. Ein Tischchen mit Messerputzgerät. Durchgang Richtung Küche. Zwei große Wannen zum Geschirrspülen. Die mächtige Wäschemangel. Die offene Tür zum Treppenflur mit der Schaukel. Ein großer rötlicher Schrank, in dem sich unten das nicht geliebte Schuhputzzeug befand. Am Schornstein ein Eisenofen mit Schrägflächen zum Erhitzen der Bügeleisen. Ein großer Bügeltisch. Frau Jenrich, Frau Franke, Frau Wernicke, Frau Heinrich waren hier tätig. Hing über dem Bügeltisch ein großes grünliches Stilleben? Unter dem Bügeltisch Schufts Schlafkorb. Im Krieg lebte ein Zeitlang der Jagdhund Wodka bei uns. Er quetschte sich in den Korb und schlief hier um Schuft herum.

Zwischen der Plättstube und der Küche ein kleiner Durchgangsraum mit niedriger Decke, die

08 Anrichte.

Unter dem Fenster Richtung Speicher ein Wandschrank. Seitlich die ebenfalls niedrige

09 Speisekammer

mit Brotmaschine und Kühlschrank, in dem Wasser- und Sahneeis hergestellt wurde. Am Ende der Speisekammer Treppchen zum halbhohen

10 Raum über der Speisekammer und der Anrichte

Durch das Fenster ließen sich verhältnismäßig leicht Weintrauben an der Ostseite des Hauses erreichen. Diese Selbstversorgung wurde allerdings nicht gern gesehen.

Die Räume 07, 08, 09 und 10 sind nach 1945 stark verändert worden. Hier begann der – nach dem 2. Weltkrieg errichtete und bei der Renovierung des Gutshauses wieder beseitigte – gedeckte Gang zum neuen Schulanbau. Jetzt befinden sich im Raum der Plättstube das Behinderten-WC, ein kleiner Flur und das WC für Herren. Die Räume 08, 09 und 10 nehmen heute die Toilette für Damen ein, in die geringfügig die Decke der Kellertreppe hineinragt.

Aus der Plättstube geht es durch den Treppenflur geradeaus ins

11 Kleine Esszimmer.

Heute Ausschank. Ein wegen des – nach dem Krieg abgerissenen – Balkons früher ziemlich dunkles Durchgangszimmer. Ich erinnere mich an einen Schrank an der Nordwand, davor ein Tisch mit Stühlen. In Fensternähe eine Bank mit Stauraum unter dem Klappsitz. In den letzten Kriegsjahren Wohnzimmer einer aus Berlin evakuierten Diplomatenfamilie: Herr Baroni, seine Frau Giovanna geb. Wolf, die Kinder Paola und Eugenio, das Dienstmädchen („Maria Louisa, piccolo bambino Eugenio kriegt Schtulle con Leberwurst“), die alte Frau Perugini, Herr Umberto… Unsere Italiener aßen gern von Benjamin erlegte Stare und zahlten mit Teschingpatronen. – Weiter ins

12 Herrenzimmer.

Grauer Teppich mit grünen Blümchen. Ziemlich neue Deckenlampe. Neben der Tür zum Salon an der Wand Pendeluhr und Barometer. Mit braunem Cordstoff bezogenes Sofa, darüber Maler Streitenfelds Bild von Oma von etwa 1919. Katharina (Käthe) Selmer wurde am 5. 8. 1870 in Mirow als Tochter des Landgerichtsrats Dr. Bernhard Selmer und dessen Frau Helene geb. Seidler geboren. Sie heiratete am 25. 5. 1889 den Rittergutsbesitzer Paul Legde. Von da an lebte sie bis zu ihrer Vertreibung Ende 1945 im Haus. Sie kam mit ihren Enkeln Wolf-Günther und Dankward in einem Zimmer im Pfarrhaus unter, bis sie als Sechsundsiebzigjährige aus dem Dorf ausgewiesen wurde. Nun lebte sie bei ihrer Stieftochter Elisabeth Ide in Neuruppin. 1948 siedelte sie zu meinen Eltern nach Wiesbaden über. Hier ist sie am 23. 12. 1963 gestorben. Ihre Urne wurde im Grab ihres Mannes auf dem Protzener Friedhof beigesetzt. – Neben dem Gemälde von Oma zwei kleine, aber interessante Bilder: Auf dem einen Joachim August Legde, geboren am am 25. 2. 1827 in Granzow als Sohn eines Zweihüfners und früh Gutsbesitzer in Blumenthal. Er erwarb am 1. 6. 1856 das Rittergut Protzen, das 89 Jahre im Familienbesitz blieb, und starb am 12. 2. 1861 wohl am Stich einer verschluckten Biene. Verheiratet war er seit dem 16. 7. 1850 mit Sophie geb. Legde, geboren am 21.. 11. 1827 in Lindenberg, gestorben am 5. 2. 1890 in Protzen. Auf dem anderen Bild die Halbbrüder Adolf Legde und Sigismund von Seydlitz-Kurzbach. Adolf Legde, geboren 1857, Sohn von August Legde und Bruder von Paul Legde, war Generalmajor bei der Kavalerie, Schwiegersohn des Kurdirektors Hey´l in Wiesbaden und Kurdirektor in Misdroy. Er starb am 30. 4. 1937. Sigismund von Seydlitz-Kurzbach, geboren am 29. 8. 1863, gestorben am 16. 4. 1945, war Offizier, Landstallmeister in Laves (Pommern), Leubus (Schlesien) und Georgenburg (Ostpreußen). Sein Vater Sigismund v. S.-K., geboren 1811, Offizier und Administrator des Scherz´schen Gutes Stöffin II, heiratete am 27. 7. 1862 die verwitwete Sophie Legde. Er bewirtschaftete das Rittergut Protzen bis zu seinem Tode am 31. 5. 1876. Er war ein tüchtiger Landwirt. In seine Zeit fällt der Torfvertrag vom 5. 3. 1872 mit Alexander Gentz. – Vor der Wand mit den Bildern standen ein Sofa und zwei passende Sessel um einen rechteckigen Eichentisch. Die Nordwand des Herrenzimmers ist jetzt entfernt. Es bildet zusammen mit Mutters Salon einen Mehrzweckraum, den jetzigen Saal.. Der Ofen am Schornstein mit stark modellierten grünen Kacheln ist – wie alle Öfen im Haus – nach dem Krieg verschwunden. Jenseits der Tür zum Kleinen Esszimmer Ecksofa. Die Zimmerecke schräg verkleidet mit rötlichem Teppich. Darüber Bild Kaiser Wilhelms I. Rechts und links etwas niedriger Bismarck und Moltke. Vor dem Ecksofa runder Tisch mit Fransendecke, offenen Fächern unter der Platte und zwei auffällig gestalteten Stühlen. An der Südwand über dem Sofa Pfeil und Bogen, Dolche und Schwerter, die Kapitän Bruno Selmer von seinen Weltreisen mitgebracht hatte. Wir probierten vorsichtig, wie scharf die Klingen waren. „Onkel Bruno“ (1871 – 1956) war Oma Legdes Bruder kam oft nach Protzen. Er war Segelschiffskapitän, im 1. Weltkrieg Kapitänleutnant, dann Schiffsgutachter. Als Pensionär lebte er in Neuruppin und zuletzt in Hamburg. – Es folgen der Gewehrschrank, die Tür zu Vaters Arbeitszimmer. Bücherschränkchen mit u. a. Deutscher Allgemeiner Zeitung, Märkischer Zeitung und Knaurs Lexikon. Unter dem ersten Fenster Richtung Kuhstall Ledersessel sowie kleiner Tisch mit Radio. Großer Glasschrank mit Fundstücken, wohl aus Opa Glöckners Geburtsort Burg Ringsheim. Zweites Fenster, durch das wir oft hinaus- und hineingeklettert sind.

13 Vaters Arbeitszimmer.

Mein Vater Hans-Günther Legde, geboren am 23. 8. 1895, war von 1923 bis 1932 zusammen mit seinem Vater Paul Legde, dann bis 1945 allein Ritterguts-Besitzer (im 3. Reich „Landwirt“) in Protzen. Er nahm am 1. Weltkrieg als Kürassier und Aufklärungsflieger teil, erhielt das Eiserne Kreuz 1. Klasse und wurde Leutnant. Im 2. Weltkrieg war er Flugplatzkommandant in Merville (Frankreich), Comiso (Sizilien) und Piacenza (Norditalien). Im Spätsommer 1944 wurde er als Major aus dem Reichsluftfahrtministerium nach Hause entlassen. Einen Monat nach der Enteignung durch die Bodenreform wurde er im Oktober 1945 aus Protzen vertrieben. Zwei Söhne waren im Westen, zwei Söhne blieben bei Oma, der neunmonatige Rudolf wurde von Vera Gühl in Walchow aufgenommen. Vater flüchtete nach Westdeutschland. Er war Hilfsarbeiter in Wolfenbüttel, von 1945 bis 1960 Referent für Viehwirtschaftsstatistik beim Statistischen Amt in Hamburg und Wiesbaden, baute in Wiesbaden-Biebrich ein Haus, betrieb als Rentner eine kleine chemische Reinigung und starb am 10. 12. 1977.

Vaters Arbeitszimmer ist heute Teeküche und Essenausgabe. Es besaß 1944 einen rauen Teppich. Neben der Tür vom Herrenzimmer Papierkorb und Tischchen mit Telefon (Fehrbellin 13, später 113). Vaters Schreibtisch. Bild von Sanssouci. Großer Bücherschrank, darauf Folianten. Fenster zum Innenhof des Hauses, unter dem Balkon bis zu dessen Abriss nach dem 2. Weltkrieg, Schreibmaschinentisch. Darüber großer Stich „L´adieux d´Hector à Andromaché“. Er weckte mein Interesse für die Ilias und die Odyssee. Vor der Schornsteinausbuchtung Ledersessel. Während der Mittagsruhe lag hier Langhaardackel Schuft auf Vaters Schoß und reagierte böse auf Störungen. Geldschrank mit u.a. viel Inflationsgeld. Tür zum südwestlichen Treppenflur. Keine sichere Erinnerung, ob es rechts und links vom Fenster zum Kuhstall Rollschränke gab. Zurück durchs Herrenzimmer in

14 Mutters Salon.

Anna-Elise (Anneliese, Anni) Legde wurde am 23. 4. 1908 als Tochter des Rittergutspächters Georg Glöckner in Buskow geboren. Meine Eltern heiraten am 21. 9. 1929. Während Vaters Kriegsdienst von 1939 bis 1944 leitete Mutter den Gutsbetrieb. Nach der Vertreibung im Oktober 1945 erkrankte sie auf der Flucht an Typhus. Sie wurde Hausdame im neuerrichteten Gästehaus des Senats in Bremen und sammelte allmählich ihre Schwiegermutter und ihre Kinder bis auf den von der befreundeten Familie Funcke übernommenen Enno in Bremen und Wiesbaden. Hier lebte sie bis zum 27. 4. 1988.

Mutters Salon hatte eine helle geblümte Tapete. Er war deutlich lichter als das Herrenzimmer. Großer roter Teppich. Sehr großer Kronleuchter. Zwischen den beiden Straßenfenstern und neben der Tür zum Musikzimmer je ein kleinerer Bücherschrank u. a. mit Inselbändchen. Blaue Chaiselongue. Nicht mehr vorhandene Tapetentür zur Garderobe. Sofa und runder oder ovaler Tisch. Tür zum Herrenzimmer. Großer Schreibschrank. Rauchtischchen unter dem dritten Salonfenster in Richtung Kuhstall. In der Nordwestecke des Zimmers stand in manchen Jahren der Weihnachtsbaum. – Durch die meist offene zweiflügelige Tür weiter ins

15 Musikzimmer.

Es dient heute als Garderobe und Durchgang zum Mehrzweckraum. Lila Tapete. Schränkchen, Fenster zur Dorfstraße, Schrank mit wertvollen Büchern. Zweiflügelige Tür zum Entree. Mutters Flügel. Spielte sie darauf, so lief Dackel Schufti herbei und jaulte herzzerreißend. Schornsteinecke schräg. An der Wand zwei „Pesnes“ Sie sollten Prinz August Wilhelm und Prinzessin Amalie darstellen. Falls Antoine Pesne (23. 5. 1683 – 5. 8. 1757) der Maler der guten Bilder war, handelt es sich eher um zwei seiner Kinder.

Durch das Entree und den Treppenflur zur Haupttreppe. Die 8, 11 und 7 Stufen hinauf zum

16 oberen Flur.

Ausnahmsweise gehen wir ein Stück entgegen dem Uhrzeiger: Rechts ein Wandschränkchen, darauf ein Telefonapparat. Türen zur oberen Toilette und zu Omas Esszimmer. Vorhang zum schmalen Flur nach Westen. Geradeaus ein großer schwarzer Schrank und davor ein rechteckiger Tisch, darauf ein roter Perserteppich. Links Geländer um den Mittelschacht des Treppenhauses, Treppe ins Dachgeschoss, Durchgang zum kleinen Flur. Ein großer Schrank, darauf ein antikisierender Gipskopf. Fenster zum Balkon, Balkontür. An der Wand Zeichnung des Kopfes einer alten Frau mit Kopftuch. Entweder Opa Legdes Mutter Sophie von Seydlitz-Kurzbach verwitwete Legde geborene Legde, gestorben am 5. 2. 1890 in Protzen, oder seine Großmutter väterlicherseits Anna Maria Legde geborene Wasmuth, gestorben am 11. 3. 1886 in Protzen, – Durch die Tür daneben in die

17 Schinkelstube.

Sie gehört heute zum Museum. Gegen Kriegsende wurde sie auch als Schlafzimmer genutzt. Bis darin war sie Salon vor allem mit zahlreichen Erinnerungsstücken an den Baumeister Carl Friedrich Schinkel. Zu seiner Familie stand besonders Oma ihr ganzes Leben lang in enger Beziehung. – Am Schornstein abgerundete Nische in der schrägen Wand. Glasvitrine. Sofa, Tisch, Stühle. Tür zum Prinzenzimmer. – Zurück über den oberen Treppenflur auf den (jetzt abgerissenen)

18 Balkon.

Ob er bei der Aufstockung der beiden Seitenflügel nach dem ersten Weltkrieg oder – weniger wahrscheinlich – schon früher errichtet wurde, weiß ich nicht. Er hatte eine ziemlich hohe Schutzmauer über dem Innenhof, war in seinem Ostteil überdacht und wurde im Sommerhalbjahr stark genutzt. Im Ostteil Tisch, Bank und Stühle sowie hinter einer Wandtür das obere Ende des Geschirraufzugs von der Küche. An der Westseite Tür zum

19 Kinderzimmer.

Hier schlief der jeweils kleinste Junge. Zugleich Waschzimmer für alle Kinder. Medizinschrank, Tür zum Elternschlafzimmer, Waschtisch, Ofen, Wickeltisch, Tür zum südwestlichen Treppenflur, Fenster zum Kuhstall, Stufe hinunter und Tür zum Prinzenzimmer, Kinderbett, Schrank. Heute Teil des Museums.

20 Prinzenzimmer.

Sterbezimmer des Prinzen Carl Friedrich Heinrich von Preußen. Er war am 30. 12. 1747 als zweiter Sohn des Prinzen August Wilhelm geboren worden, erkrankte auf dem Marsch seines Regiments von Kyritz nach Berlin an den Pocken und starb am 26. 5. 1767. Der – zur Unterscheidung von seinem Rheinsberger Onkel – „jüngere Prinz Heinrich“ war Bruder des späteren Königs Friedrich Wilhelm II. und der Lieblingsneffe Friedrichs des Großen. Das Prinzenzimmer war die Kinderstube der fünf Söhne der letzten Protzener Rittergutsbesitzer: Hans Christian, Enno, Wolf-Günther, Dankward und Rudolf Legde. Heute Museum. Zwischen den beiden Fenstern zum Kuhstall Bücherschrank, darüber Kuckucksuhr. Links von der Tür nach Norden zum langen schmalen Flur mein Schreibschrank, rechts der Tür ein großes Spielzeugregal. Am Schornstein in der Zimmerecke ein weißer Kachelofen mit orangefarbenen Partien. Meist abgeschlossene Tür zur Schinkelstube. Je nach Bedarf mehrere Kinderbetten. In der Zimmermitte Tisch, darüber Lampe mit Fliegenfänger. Wichtiges Spielzeug waren eine alte Eisenbahn, Baukästen und Soldaten. Ich erinnere mich an Leutnant Gräber, der bei einem Manöver begeisternd und ideenreich mit uns spielte. Nur verlieren konnte er nicht. Sein Chef, Oberst Graf Schaffgotsch aus Schlesien, der im Haus Quartier genommen hatte, schenkte meinem Bruder Enno einen Mörser zum Geburtstag, ein Prachtstück, das damals 8,50 RM kostete. Ebenso viel, wie der Bunker und das Lazarettauto, die wir schon besaßen. Mutter erzählte, Graf Schaffgotsch habe deutlich vorausgesagt, dass das Deutsche Reich den Krieg furchtbar verlieren werde. Wer irgend könne, solle sich rechtzeitig im Westen eine Existenz aufbauen.

21 Flur

Die Wand zwischen Prinzenzimmer und Flur ist nach dem Krieg entfernt, jetzt aber mit etwas nach Westen versetzter Tür wiederhergestellt worden. Heute ist der Flur (ehemaliger Alkoven) in der Mitte zugemauert. Der Westteil wird als Museumsteil genutzt. Der Ostteil mit Tür zum Treppenflur ist jetzt Abstellraum. Früher erstreckte sich der lange schmale Flur vom Fenster zum Kuhstall bis zu einem schwarzgoldenen Vorhang am Durchgang zum oberen Hausflur. Auf der Nordseite befanden sich Türen nach 22, 23 und 24. Auf der Südseite ein großer Elektrokasten, die Tür zum Prinzenzimmer und in der Flurmitte ein großer Spiegel. Rannte man auf dem Weg zum WC im Nachthemd vorbei, so witschte im Spiegel ein Gespenst vorüber.

22 Vorratskammer

Sie war nur mit der Klinke zu öffnen, der auf dem Elektrokasten lag.

23 Gästezimmer

Hier wohnte im Winter das Kinderfräulein, dessen Sommerzimmer nicht heizbar war. In der warmen Jahreszeit kleines Gästezimmer. Unter unseren Kinderfräulein ragten hervor Elise, an die ich kaum noch Erinnerung habe, und Annemarie Rehme aus Bremen. Annemie hat sich nach Kriegsende sehr stark für Enno und mich und dann auch für Mutter eingesetzt.

24 Großes Gästezimmer

mit zwei Betten für besonders zu ehrende Besucher.

Durch die drei Fenster der Räume 22, 23 und 24 blickte man über die Dorfstraße hinweg auf die Scheune 5, das jetzige Dorfgemeinschaftshaus. Die Räume 22 und 23 sind heute zu einem großen Museumszimmer vereinigt, von dem aus man in den Museumsraum 24 gelangt.

25 Omas Esszimmer

Heute Teil des Museums. Die jetzt offene Tür nach 24 war verschlossen. Mittelfenster zur Dorfstraße. Zum oberen Treppenflur eine Doppeltür. Schränkchen mit Keksvorrat, Büfett. In der Zimmermitte Esstisch mit Stühlen. Hier aßen gewöhnlich Oma und ihre Haushälterin. Durch die Tür nach Osten in

26 Omas Schlafzimmer.

Lila gehalten. Zwei Fenster zur Dorfstraße. In der Nordostecke Omas Schreibschrank. Chaiselongue oder Sofa mit Tisch. An der Wand wohl Kahnfahrt des jungen Friedrich vor Schloss Rheinsberg. Türen zum Bad und zu Omas Wohnzimmer. Kachelofen. Doppeltür zur Toilette. Omas Bett. Darüber ein großes Kaulbachbild von 1846: „Die Zerstörung von Jerusalem durch Titus“ mit einer Vielzahl von Personen und teilweise schrecklichen Begebenheiten. Ein von Opa Legde geschnitztes Holzschränkchen.

27 Badezimmer

mit Fenster zum Speicher und Tür zur

28 Abstellkammer

mit Fenster zur Dorfstraße.

Die Räume 26, 27 und 28 sind jetzt zum Schulungs- und Vereinszimmer der Feuerwehr vereinigt.

29 Toilette

Heute Abstellraum. Nur die Tür zum Treppenflur ist geblieben. Früher war dieser vielbenutzte Raum auch von Omas Schlafzimmer aus zugänglich. Fritz Funcke: „Bei euch herrschen ja archaische sanitäre Verhältnisse!“ An der Wand ein Blatt mit blauen Buchstaben und Omas charakteristischer Handschrift: „Es dürfen keinerlei Abfälle …. in das Klosett geworfen werden, auch kein festes Papier.“

30 Omas Wohnzimmer

wurde von mir „enge Stube“ genannt. Kachelofen. Heute zugemauerte Tür zu Omas Schlafzimmer. Opas Bild von Maler Streitenfeld, der in der Hungerzeit um das Ende des 1. Weltkriegs in Protzen lebte. Der Ledersessel, in dem Opa am 2. Juli 1932 beim Mittagsschlaf gestorben ist. Paul Legde hatte ein reich erfülltes Leben. Er wurde am 4. 12. 1855 in Blumenthal/Prignitz geboren und kam wenige Monate später nach Protzen. Er diente in zwei Garderegimentern und kehrte als Leutnant heim. Von 1880 bis 1932 leitete er das Rittergut Protzen, von 1899 bis 1937 gemeinsam mit dem bewährten Inspektor Wilhelm Ziemer und ab 1923 zusammen mit seinem Sohn Hans-Günther Legde. Er wickelte das nach dem Konkurs von Alexander Gentz schwierige Torfgeschäft ab, ging im Dorf etwa im Gebrauch von Kunstdünger voran und errichtete zahlreiche Wohnungen, Scheunen und Ställe, besonders nach einem großen Brand im Herbst 1913. Soweit sie nicht nach dem 2. Weltkrieg zur Bausteingewinnung abgerissen wurden, wie die Scheunen 1 bis 4, die Feldscheune, die Stellmacherei, die Schmiede und der Speicher, werden sie bis heute genutzt. Er war aktiver Vorsteher der 1903 gegründeten Entwässerungsgenossenschaft Walchow-Protzen, die das Luch nach dem Torfabbau erfolgreich kultivierte. Die sensible Wasserbewirtschaftung im Luch litt unter dem 2. Weltkrieg, wurde aber später unter veränderten Bedingungen fortgesetzt.

Bis zur Auflösung der Gutsbezirke um 1929 war Opa Gutsvorsteher. Er nahm zahlreiche Ehrenämter wahr. So kam er als erster bürgerlicher Gutsbesitzer in den Kreistag. Lange Jahre war er im Kreisausschuss (Beschlussbehörde und Verwaltungsgericht 1. Instanz) tätig. Er war 2. und – nach dem Tode seines Freundes von Kriegsheim-Barsikow 1917 – bis etwa 1931 1. Kreisdeputierter. Opa arbeitete mit den Landräten Erich Freiherr von dem Knesebeck (1888 – 1907), Dr. Alexander Bernus (1907 – 1914), Lewin Freiherr von dem Knesebeck (1914 – 1921) und Dr. Ernst Kaempfe (1921 – 1933) zusammen, zeitweise als ihr Vertreter. Er war Mitglied des Provinziallandtags und wurde als „getreuer Ekkehart“ des Kreises bezeichnet.

Fenster mit Blick auf den Speicher. Bücherschrank mit Schätzen, die im Zimmer bleiben mussten: Kiplings Dschungelbuch, die beiden Bände Vehse „Illustrierte Geschichte des preußischen Hofes“. Rotes Sofa, roter Sessel, Tisch, Stühle. Über dem Sofa Kopien der Bilder von Generalarzt Dr. Seidler und seiner ersten Frau Henriette geb. Groschke. Ihre Enkelin Margarete Seidler, geboren am 22.9.1860, gestorben am 4. 7. 1886, wurde im Herbst 1882 die erste Frau meines Großvaters Paul Legde. Die zweite Frau des Generalarztes, Charlotte Sophie Elisabeth geb. Wagner, ist die Nichte des Baumeisters Schinkel und Großmutter von Oma Katharina geb. Selmer, der zweiten Frau meines Großvaters. – Tischchen mit zweigeteiltem Radio. Tür zu einem kleinen

31 Flur

mit Tür zu 32 und Durchgängen nach 33 und zum oberen Treppenflur.

32 Gästezimmer

mit Fenster Richtung Speicher. Hier wohnte unser Vetter Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Legde, geboren am 1. 9. 1930, wenn er sich in Protzen aufhielt.

Die Räume 30, 31 und 32 bilden heute das Zimmer des Inselvereins, in dem sich der Billardtisch befindet.

33 Flur

mit Zugang zum oberen Aufzugende, Fenster zum Innenhof und Ende im südöstlichen Treppenhaus. Drei Türen nach Osten:

34 Omas Speisekammer,
 35 Omas Küche

mit Schornstein,

 Die Räume 33, 34 und 35 sind jetzt als Zimmer für den Ortsbürgermeister zusammengefügt, werden gegenwärtig aber nicht genutzt.

36 Schmidtchens Zimmer.

Zimmer von Omas Haushälterin – lange Zeit Mariechen Schregel geb. Schmidt aus Jabel bei Wittstock. Heute Bibliothek.

Wir gehen die zweiläufige Treppe (46) hinunter und verlassen das Haus durch die Tür an der Parkseite des südöstlichen Seitenflügels. Dieser Flügel, der Innenhof und der Südteil der Mitte des Hauptflügels sind nicht unterkellert. An der Treppe zum Innenhof vorbei geht es an der Parkseite des Südwestflügels eine Steintreppe hinunter zum Kellereingang. Heute befindet sich die Tür in der Hauswand am oberen Ende der Kellertreppe.

37 Luftschutzkeller

Die drei Kellerräume, die hintereinander unter dem Südwesten und dem Nordwesten des Hauses sowie dem Norden der Mitte seines Hauptflügels liegen, weisen in ihrer Längsrichtung Tonnengewölbe auf. Mit ihren sehr starken Mauern sind sie vermutlich erst beim Neubau um 1753 errichtet worden.

Der erste Keller wurde im Krieg als Luftschutzkeller genutzt. Bei Fliegeralarm stand der Dackel Schuft jaulend als erster auf der Kellertreppe vor der gepolsterten Tür. Wie oft wurde hier „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt, während die britischen und amerikanischen Bomber über uns hinweg nach Berlin flogen.

38 Heizkeller

Um 1928 erhielt das Haus Zentralheizung. Die Arbeiten wurden durch eine Berliner Firma vorgenommen, weil den Neuruppiner Unternehmen die Aufgabe zu groß war. Im mittleren der drei Keller mit Tonnengewölbe befand sich die Heizanlage. Hier lagerte auch der Koks. Als etwa Zwölfjähriger bemerkte ich beim Versteckspielen, dass es von der Höhe des Koksberges hinunter ostwärts in eine dunkle Öffnung ging, in die wir dann mit Taschenlampen vordrangen. Als wir von unserer Entdeckung berichteten, waren die Erwachsenen keineswegs überrascht. Es handelte sich um den

39 Champignonkeller.

Er besaß keinen Lichtschacht nach außen, auch kein elektrisches Licht. Früher waren hier Pilze gezogen worden. Kurz vor Kriegsende haben wir hier eine gefüllte Truhe vergraben. Sie wurde nicht entdeckt, später heimlich ausgegraben und mit Inhalt und einigen anderen Stücken über Neuruppin und Hamburg gerettet.

Der Champignonkeller war nach Osten durch eine Wand begrenzt, die nur ein siebartiges Fensterchen besaß. Heute ist der Durchgang offen zum

40 Obstkeller

unter dem Nordosten des Hauses. Er gehört zu den drei Spitzbogen-Kellern, dem ältesten Teil des Gutshauses. Der nächste dieser

41 Keller

unter dem Osten des Hauptflügels war ein Durchgangs- und Vorratsraum. Als kleiner Junge musste ich hier immer an das Märchen von der klugen Else und der Kreuzhacke denken. Von diesem Keller führten eine Tür nach Westen in den Weinkeller und eine Treppe nach Süden hinauf zur Küche.

42 Weinkeller

Hier lagerte, was die Eltern an Wein besaßen. Nach Westen führten wenige Stufen zu einer kleinen Plattform hinauf, die nach drei Seiten durch Wände begrenzt war. Ich habe, von niemand gehindert, gegen Kriegsende eine Wand aufgebrochen und lose Erde, Steine und verkohltes Holz gefunden. Ich nehme an, dass von hier nach 04 die Kellertreppe des Vorgängerhauses verlief, die beim Neubau von 1753 nicht mehr gebraucht, zugeschüttet und vermauert wurde.

43 Küche

Über die Kellertreppe geht es hinauf in die nicht unterkellerte Küche, den etwas tiefer gelegten und dadurch höchsten Raum des Hauses. Sie besaß einen Steinboden. Neben der Kellertür im Uhrzeigersinn ein Wandschrank und zwei Treppenstufen hinauf zur 08 Anrichte. Diesen Durchgang zum Hauptflügel gibt es heute nicht mehr. Die Küche wird als Friseursalon genutzt und besitzt eine Zwischendecke. Unter dem Fenster zum Speichergebäude ein großes Becken mit Wasserhahn. Als Kind hatte ich die Vorstellung, dass hier wie in dem grausigen Grimmschen Märchen von der weißen und der schwarzen Braut plötzlich eine Ente auftauchen könnte. Weiter zu dem Kasten, in dem  die Eintagsküken gewärmt wurden. Vom Schornstein her ragte der große Herd in die Küche. Davor ein Arbeitstisch, unter ihm Schufts Fressnapf. Neben der südlichen Küchentür das Heizmaterial für den Herd. An der inneren Küchenwand ein wachstuchbezogener Esstisch mit Stühlen und an der Ecke einem großen Salzkasten. Zwischen dem Tisch und der Kellertür Zugang zu einem kleinen

44 Flur.

Hier begann der Speisenaufzug zum Balkon. Für die Benutzung durch Kinder war er nicht gedacht. Nun ja. Die heute stark genutzte Haustür zum Innenhof war verschlossen. Die Tür zu dem Raum, der heute als WC dient, gab es wohl noch nicht.

45 Vorraum

Der Durchgangsraum südlich der Küche besaß eine Zwischendecke, war dadurch niedrig und wirkte dunkel. Er erwachte zum Leben, wenn draußen an der Waschküche ein Schwein geschlachtet wurde. Heute Aufenthaltsraum. Die Waschküche befand sich in einem gesonderten – äußerlich wenig ansprechendem – kleineren Haus südöstlich vom Gutshaus. Im Obergeschoss dieses Hauses war der Räucherboden eingerichtet, zu dem man durch eine gesonderte Tür über eine Treppe hinaufstieg.

46 Treppenflur

Wir verlassen das Haus diesmal nicht durch die Haustür in Richtung Park, sondern gehen die zweiläufige Treppe hinauf. An ihrem unteren Ende die jetzt nicht mehr vorhandene und früher meist zugeschlossene Tür zu einer

47 Kammer,

in der sich vor allem Weckgläser befanden. Heute von 44 Flur her zugängliches WC. Ob der Raum durch eine Zwischendecke niedrig war und über ihm eine Wirtschaftskammer mit Tür vom Mittelabsatz der Treppe her angelegt war, weiß ich nicht mehr. An diesem Mittelabsatz, also der halben Treppe zum Obergeschoss, jedenfalls die Tür zu

48 Bad und WC

für das Hauspersonal, dem halbhohen Raum über 45. – An 36 Schmidtchens Zimmer im Obergeschoss vorbei führt die wiederum zweiläufige Treppe hinauf in den kaum genutzten südöstlichen

49 Bodenraum.

Erinnerlich ist mir ein etwas gruseliges Bild mit einem durch Unterholz heranschleichenden Fuchs. Am Ende des Bodenraums nach Westen die Tür zu

  50 Veras Zimmer.

Das östliche der drei Schlafzimmer mit je einem Fenster mit Blick über den Balkon hinweg auf Innenhof, Lindenallee und Park. Hier wohnte im Krieg Vera Gühl, später verheiratete Neumann, aus der Walchower Grund. Sie nahm Rudolf Legde bis 1947 auf, als die Eltern im Oktober 1945, einen Monat nach Verkündung der Bodenreform, aus Protzen fliehen mussten. – Vom Bodenraum geradeaus geht es in den

51 Flur

des Dachgeschosses des Hauptflügels. Nach Osten

52 Schlafzimmer

für eine Hausangestellte. Fenster zum Speicher. Vom Flur nach Norden

53 Schlafzimmer

für eine weitere Hausangestellte mit zweitem Dachfenster zum Speicher. Heute sind diese beiden Schlafzimmer Kinderzimmer der im Dachgeschoss eingerichteten Wohnung. In welchen Zimmern die Haushaltshilfen Maria aus dem Banat und Jenny sowie die Helferin in der Wirtschaftsführung Thea Jammermann gewohnt haben, weiß ich nicht mehr. – Den Flur entlang Tür zum

54 Bodenraum,

der sich über die gesamte Nordhälfte des Hauptflügels erstreckt. Zwei heute beseitigte Gaubenfenster zur Dorfstraße, ein Fenster nach Westen. Im Nordosten altes Spielzeug und oben ein Innenfenster, durch das man zum Ärger der Bewohnerin in das 53 Schlafzimmer hineinschauen konnte. Leiter zu einer Plattform über dem Flur und allen Schlafzimmern des Dachgeschosses. Neben der Flurtür zum Bodenraum wurde nach dem Krieg das Bad der Dachgeschosswohnung errichtet. – Auf der Südseite des Flurs endet die Haupttreppe des Hauses. Daneben

  55 Gästezimmer

mit mittlerem Fenster mit Blick über Balkon und Innenhof zur Lindenallee, zum Park und zum Luch. In diesem wohl schönsten Gästezimmer wohnte bei ihren Aufenthalten in Protzen Mutters Mutter (Öhme) Anna Glöckner geb. Nonne aus Neuruppin. An der Wand der Hirtenknabe von Lenbach. Als kurzfristiger Bewohner des Zimmers habe ich eines der beiden eindrucksvollsten Gewitter meines Lebens mitbekommen. Dieses Zimmer und 50 Veras Zimmer sind heute zum Wohnraum der Dachgeschosswohnung vereinigt.

56 Gästezimmer

mit dem dritten Dachgeschossfenster mit Südblick. Heute Kinderzimmer.

57 Schlafzimmer

mit Blick aus dem Westfenster bis zur Kirche von Manker. In diesem nicht heizbaren Zimmer wohnte im Sommerhalbjahr das Kinderfräulein. Heute Küche der Dachgeschosswohnung.

Durch eine Tür zwischen 56 und 57 in den wenig genutzten südwestlichen

58 Bodenraum

und durch diesen in den südwestlichen

59 Treppenflur.

Zweiläufige Treppe hinunter ins Obergeschoss. Hier Türen zu 19 Kinderzimmer und zum

60 Elternschlafzimmer.

Heute Teil des Museums. Das Elternschlafzimmer war grün gehalten. Die Möbel von Tischler Laaß. Großer heller Kleiderschrank. Tür zum 19 Kinderzimmer. Fenster zum Innenhof. Waschtisch. Tür zum kleinen Balkon, der nach dem Krieg abgerissen wurde. Tür zu einem Überbau im 59 Treppenflur mit Fenster über den kleinen Balkon zum Park, halbhohem Schuhschrank und Kleiderschrank. Im Schlafzimmer weiter Doppelbett mit Nachttischen. – Im Treppenflur hinunter bis zum Mittelabsatz der zweiläufigen Treppe. Hier Tür zum halbhohen

61 Badezimmer.

Es wurde kurz vor dem Krieg gelb gekachelt. Ich war sehr stolz auf diesen modernen Raum. Waschtisch. Einbauwanne. In der nicht durchgebrochenen Fensteröffnung zum Innenhof Wandschrank. Fenster zum Park. Zwischen Wanne und Einbauschrank Tür zur

62 Toilette.

Der schmale halbhohe Raum enthielt Kleinmöbel für Wäsche und ganz am Westende das WC. – Im Treppenflur vollends hinunter in den

 63 Flur

im Erdgeschoss. Unter der Treppe Säcke mit Zucker von der Zuckerfabrik Nauen. Manchmal so locker zugebunden, dass eine kleine Faust sich hineinquetschen konnte. Der verfolgte Täter hinterließ eine Zuckerspur auf der Treppe… In der nicht durchgebrochenen Fensteröffnung in Richtung Kuhstall ein Wandschrank. Tür zu 13 Vaters Arbeitszimmer. Tür zum

64 Flur

zur Haustür an der Westseite des Innenhofs. Von diesem Flur nach Süden in die

65 Kutscherstube.

Kurz vor dem und im Krieg, als es keine Kutscher mehr gab, wurden hier die Fahrräder aufbewahrt. Wenigstens ein Schrank. An den Wänden Bilder bekannter Zuchtbullen. Gegen Kriegsende Küche der Familie Baroni.

Der Flur 64 unter der Toilette 62 und die Kutscherstube unter dem Badezimmer 61 besaßen niedrige Zwischendecken, die heute abgerissen sind.

Der zusammengelegte große Raum dient jetzt u. a. als Stuhllager.

An der Tür an der Westseite des Innenhofs enden die beiden Hausdurchgänge.